Und dann war es wieder soweit: Ich kam nach Hause und ich fühlte mich ausgelaugt, erschöpft und den Tränen nahe. Irgendwo da drunter lag auch eine riesige Wut. Wieder einmal hatte ich nicht auf meine Grenzen gehört und war länger auf einer Party geblieben, als es mir gut tut. Normalerweise gehe ich sowieso nicht auf Partys. Aber dies war ein Geburtstag einer Freundin und somit eine Ausnahme. Eigentlich hatte ich mir vorher schon zahlreiche Ideen zurecht gelegt, wie und wann ich es schaffen könne, die Party wieder zu verlassen während ich energetisch noch in einer akzeptablen Zone war. Doch als ich nach zwei Stunden sagte, dass ich nun bald gehen wolle, sah ich nur die überraschten und enttäuschten Augen meiner Freundin. Sie bat mich noch zu bleiben, denn es würden noch ein paar Menschen kommen, die sie mir gerne vorstellen würde. Also blieb ich. Und sprach mit diesem und jenem Menschen. Irgendwann merkte ich, dass ich garnicht mehr richtig zuhörte. Mein Kopf fing an zu „wandern“. Ich war einfach übervoll mit emotionalen und sensorischen Reize. Speicher voll. Nichts geht mehr.

Interessanterweise schaffe ich es in solchen Momenten der totalen Überreizung dann recht klar zu kommunizieren, was ich jetzt brauche. „Ich gehe jetzt nach Hause. War schön mit euch. Danke für die Einladung. Tschüss.“


„Ich gehe jetzt nach Hause. War schön mit euch. Danke für die Einladung. Tschüss.“

Den Weg nach Hause erinnere ich nicht mehr so recht. Und dann lag ich da, vollkommen überreizt auf meinem Sofa und mir liefen die Tränen vor Erschöpfung. Nachdem sich die emotionale Überforderung etwas gelegt hatte, lag ich da, schaute an die Decke und fragte mich: „Warum machst Du das? Warum erlaubst Du anderen Menschen immer wieder über Deine Grenzen zu gehen und zu bestimmen, was für Dich gut ist und was nicht?“ Irgendwann kam dann die Wut. Die Wut darüber, dass ich es so oft nicht schaffe, „Nein“ zu sagen, wenn ich um etwas gebeten werden. Die Wut darüber, dass es anderen Menschen anscheinend egal ist, wie es mir geht. Und dann die Wut darüber, dass ich andere Menschen über mich und meine Bedürfnisse entscheiden lasse.

Ich begann, darüber nachzudenken, warum es mir so schwer fällt, Grenzen zu setzen. Und ich sprach mit anderen hochsensiblen Menschen darüber. Mehr und mehr verstand ich, dass wir im Grunde alle ähnliche Schwierigkeiten haben, Nein zu sagen und gut für unsere Bedürfnisse zu sorgen, in dem wir Grenzen setzen.

  • Wir haben Angst, andere zu verletzen oder zu enttäuschen.
  • Wir haben Angst vor der Reaktion unseres Gegenübers.
  • Wir haben Angst, als unsozial, unhöflich oder unaufmerksam angesehen zu werden.
  • Wir haben Angst davor, was die anderen von uns denken.

Unter aller dieser Angst liegt jedoch der wahre Grund: Wir haben Angst, nicht mehr geliebt, akzeptiert und willkommen zu sein. Wir haben Angst, sozial ausgeschlossen zu werden.


Wir Hochsensible haben den Schmerz des sozialen Ausschlusses, des Mobbings und des nicht-verstanden-werdens viel zu oft zu spüren bekommen.

Wir Hochsensible kennen dieses Geschichte nur zu gut. Schon seit Kindheitstagen fühlen wir uns durch unsere Hochsensibilität anders, unpassend und nicht normal. Wir haben den Schmerz des sozialen Ausschlusses, des Mobbings und des nicht-verstanden-werdens viel zu oft zu spüren bekommen. Viele von uns haben dann versucht, irgendwie normal zu sein und reinzupassen. Möglichst nicht auffallen. Dazu gehören.

Es wirkt wie ein Kamikaze-Akt, sich nun plötzlich wieder seinen eigenen Bedürfnissen zu zuwenden, diese zu kommunizieren und sich damit der Verletzlichkeit auszusetzen. Warum in aller Welt sollte man das tun?

Weil der Weg der Selbstaufgabe nicht der Weg zum Lebensglück ist. Es ist der Weg, der letztendlich zu Erschöpfung, Burnout und Krankheit führt. Ich habe es inzwischen dutzende Male mit Coachees und auch an mir selbst erlebt.

Es gibt also nur einen Weg: Mutig nach vorne. Hindurch durch das Tal der Ängste und auf zu neuen Ufern. Langsam lernen, was man braucht, wie man das spürt und wie man das kommuniziert. In einigen Bereichen wird es schnell gut klappen, in anderen Bereichen wird es eine Lebensaufgabe.

Heute komme ich nicht mehr erschöpft von Partys nach Hause. Weil ich auf keine mehr gehe. 🙂 Aber auch sonst schaffe ich es relativ gut, mich und meine Bedürfnisse im Blick zu haben. Ich weiß, dass meine Stärke im Zweiergespräch oder in kleinen Gruppen liegt. Und mein sozialen Umfeld weiß das auch.

Mit mir kann man hervorragend einen gemütlichen Abend verbringen oder gemeinsam spazieren gehen. Mit mir kann man auch mal entspannt telefonieren oder einen Nachmittag im Park verbringen. Es gibt viele Möglichkeiten, mit mir eine schöne Zeit zu verbringen. Eine Zeit, die auch für mich schön ist und nicht nur für mein Gegenüber. Es ist also eine Win-Win Situation für beide Seiten, wenn beide gut auf sich und ihre Bedürfnisse und Grenzen achten können. Dann genießt man einfach die gemeinsame Zeit, ohne sich dauernd Sorgen zu machen, ob es dem anderen auch gut geht.